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»Vom Leben Lieben Sterben« AT 1993/2013 [AIDS im Film #4]

Die ganze Woche über veröffentliche ich Texte über HIV und AIDS. In meiner Liste mit Filmen, die sich mit der Thematik auseinandersetzen, möchte ich heute »Vom Leben Lieben Sterben« von Walter Hiller und Manfred Neuwirth besprechen – einen österreichischen Dokumentarfilm, der die Epidemie aus der Perspektive von 1993 und von 2013 thematisiert.

AIDS in Österreich

Die Geschichte von HIV und AIDS in Österreich begann im Jahr 1983, als die erste positive Ansteckung getestet und bekanntgemacht wurde. Erste Schritte um dem Virus etwas entgegenzusetzen, wurden 1985 unternommen. Damals führte man eine Teststudie, an der 300 Menschen teilnahmen. Als das Organisationsteam mit 60 positiven Ergebnissen konfrontiert wurde, stand für sie fest, dass es einer Beratungsstelle und professioneller Betreuung bedürfen würde. So gründeten sie 1985 die erste österreichische AIDS-Hilfe in Wien. Über die nächsten Jahre wurden zunehmend Menschen als HIV-positiv diagnostiziert; die Pandemie schien in Österreich angekommen.

Das Jahr 1993, 10 Jahre nach dem ersten bekanntgemachten Fall einer Infizierung in Österreich, markierte den Höchststand registrierter Neuinfektionen. 561 Menschen wurden in diesem Jahr als HIV-positiv getestet. 1993 entstand und erschien auch »Vom Leben Lieben Sterben« von Walter Hiller und Manfred Neuwirth. Die beiden hatten sich zur Aufgabe gemacht mittel- und unmittelbar Betroffene vom Virus zu Wort kommen zu lassen. Darunter waren zum Beispiel ein Mensch der als positiv diagnostiziert wurde, eine Pflegerin, ein „Buddy“, der Erkrankte betreute und ein Partner eines an AIDS-Verstorbenen. Unterteilt ist der Film in Erklärungen zum persönlichen Bezug und zu ihrem Erleben, wie das Umfeld und die Gesellschaft über HIV und AIDS denkt und spricht.

In »Vom Leben Lieben Sterben« geht es unter anderem um soziale Ausgrenzung, so erzählt zum Beispiel Ernst davon, wie seine Freund*innen nicht mehr zu Besuch kommen, als er seinen Partner Manfred drei Monate zuhause pflegte. Genau so thematisiert der Film auch weitere soziale Stigmata. Brigitte, Pflegerin von AIDS-Kranken, liefert dazu eine Anekdote davon, wie eine Mutter aus der Steiermark angereist kam und ihren Sohn durch eine Glasscheibe anfuhr, dass es eine Unverschämtheit sei, dass sie jetzt extra nach Wien habe fahren müssen, weil ihr Sohn so ein »Hurenbock« gewesen sei. Und selbst dafür bringt Brigitte ein Stück weit Verständnis auf, da sie es auch als Reaktion darauf versteht, dass die Familie in ihrer Heimat von Freund*innen und Nachbar*innen so angefeindet worden sind, wo die Erkrankung des Sohns zum Stadtgespräch wurde. Gleichzeitig erzählt Brigitte aber auch, dass anschließend die komplette Station in Tränen aufgelöst war, darüber, dass dem Patienten die Hilfe der Mutter versagt blieb, die er am Sterbebett so gebraucht hätte.

20 Jahre später

Es ist nicht das letzte Mal, dass sich Hiller und Neuwirth dem Thema annehmen. 2013 drehen sie – sozusagen – eine „Fortsetzung“ von »Vom Leben Lieben Sterben«, in der Ernst, Brigitte, Wolfgang und Irene erneut vor der Kamera zu Wort kommen. Sie reflektieren über die Unterschiede zwischen damals und heute, über den Alltag Aids und ihre Sorgen darüber, wie sie wahrnehmen, dass eine Folgegeneration das Thema nicht genügend ernst nimmt. Ein Stigma sehen sie dem Virus noch immer anhaften. »Ich kann mit mehr Mitgefühl rechnen, wenn ich Krebs habe. Da kriege ich sehr viel Mitgefühl. Aber wenn ich diese Erkrankung hätte glaube ich nach wie vor, dass ich weniger Mitgefühl und weniger Verständnis von anderen Menschen bekommen würde«, erklärt Irene an einer Stelle des Films. Ihrem Arbeitgeber würde sie von einer Erkrankung mit Sicherheit nicht erzählen, sagt sie mit Nachdruck.

»Vom Leben Lieben Sterben« ist ein sehr starker Film. Es gibt im ersten Teil wenige Zwischenschnitte, im zweiten gar keine und insgesamt auch keine musikalische Untermalung; es wird lediglich erzählt. Das hinterlässt  Eindruck und macht die Filme – durch den Abstand von 20 Jahren – zu einem spannenden Zeitdokument, aber auch zu einem sehr menschlichen Porträt, wie die Pandemie Menschen betroffen und berührt hat.

Beide Teile von »Vom Leben Lieben Sterben« sind legal in voller Länge auf der Videoplattform Vimeo von der Medienwerkstatt Wien zur Verfügung gestellt worden. Deswegen die dringende Empfehlung sich beide Filme anzuschauen.

Bis zum Welt-AIDS-Tag am Samstag habe ich mir vorgenommen fünf Filme, die sich mit HIV und AIDS auseinandersetzen vorzustellen. Den Anfang machte »Buddies«, anschließend schrieb ich über »Longtime Companion«, gestern über »Boys on the Side« und morgen schließe ich die Reihe mit dem französischen Film »120 Battements par Minutes«.

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