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»120 Battements Par Minutes«, F 2017 [AIDS im Film #5]

Morgen ist Welt-AIDS-Tag. Als Vorbereitung habe ich mich die Woche über mit HIV und AIDS in Filmen beschäftigt. Der fünfte und letzte Film, über den ich in meiner kurzen Reihe schreibe, ist der französische Spielfilm »120 Battements Par Minutes« von Robin Campillo, der die Pariser ACT UP Gruppe porträtiert.

»Act Up, Fight Back«

Dass der amerikanische Präsident Ronald Reagan sich vor allem darin hervortat, die sich abzeichnende Epidemie zu ignorieren, habe ich bereits in meiner Besprechung zu »Longtime Companion« angeschnitten. Problematische politische (Nicht-)Antworten auf HIV und AIDS gab es in vielen Ländern. In Großbritannien bemühte sich unter Margaret Thatcher die konservative Jill Knight um eine Gesetzeserweiterung, die besagte, dass in allen Bereichen des öffentlichen Lebens nur noch negativ über Homosexualität gesprochen werden dürfte. In Deutschland fühlte sich CSU Innenstaatssekretär Peter Gauweiler so inspiriert davon, dass er im Zusammenhang mit AIDS ein »Programm gegen die nationale Dekadenz, wie es Margaret Thatcher formuliert hat« forderte.

Der politischen Untätigkeit bis Feindseligkeit wegen, bildete sich zwangsweise Widerstand in der Zivilbevölkerung. In Amerika gründete sich zum Beispiel ACT UP, die „AIDS Coalition to Unleash Power“. Mit dem bekannten Slogan „SILENCE=DEATH“ sagte man dem Virus und schweigsamen Spitzenplitikern den Kampf an und plante wachrüttelnde Aktionen, um die breite Öffentlichkeit auf ein Massensterben aufmerksam zu machen und fehlende Reaktionen von Politik und Pharmakonzernen offenzulegen. Ableger der Bewegung gab es in den verschiedenen amerikanischen Großstädten, bis quer durch Europa. Den französischen Aktivist*innen des Pariser ACT UP Ablegers widmete Robin Campillo im letzten Jahr den großartigen Spielfilm »120 Battements Par Minutes«.

Zwischen Aktionismus, Privatem Glück und Krise

In Frankreich war von 1981 an François Mitterrand Präsident. In seine Amtszeit fällt demnach auch der Beginn der »AIDS Krise« die er lange Zeit unbeachtet ließ. Zusätzlich kam es zu dieser Zeit zu Folgenschweren Skandalen, da sich tausendfach Menschen, überwiegend Hämophile/Bluter, an Blutkonserven mit dem Virus angesteckt haben. Es gab also genug Potenzial um Missstände aufzuzeigen und so verfolgen wir im Film die Gruppe von Aktivist*innen, wie sie politische Events und Räumlichkeiten von Pharmakonzernen stürmen und unter anderem auch »Mitterrand, Assassin!« skandieren. Gezeigt wird hier eine Gruppe von Menschen, die sich verlassen und verraten fühlt. Sie wollen nicht still ihren Tod, den Tod ihrer Freunde, Liebende und Verwandte abwarten, sie wollen kämpfen und in ihren Anliegen ernst genommen werden.

Besonders stark ist der Film darin Debatten über weitere Aktionen nachzustellen. Jede Planung ist auch ein endloses Tauziehen, zunehmend stressig, da sich die Streitenden und Diskutierenden durch ihre gesundheitliche Situation verschiedenen Stressleveln ausgesetzt sehen. »120 Battements Par Minutes« erzählt aber auch die Geschichte einer Liebe zwischen den Filmfiguren Sean und Nathan. Sie demonstrieren zusammen, sie kommen einander näher, sie haben Sex, aber sie müssen auch mit all den Schwierigkeiten und dem Schmerz umgehen, der dadurch entsteht, dass der eine positiv ist und der andere nicht.

Der Welt-AIDS-Tag morgen wird vor allem im Zeichen von Behandlungsmöglichkeiten stehen. Solche, die HI Viren unter die Nachweisbarkeitsgrenze bringen und von PreP, der Vorsorge gegen Ansteckung. Das ist gut, richtig und wichtig, denn nicht nur sind die medizinischen Fortschritte beachtlich, das Wissen darüber ist noch nicht verbreitet genug und kann nicht nur Leben retten, sondern auch einen Beitrag zum Abbau von Stigmata und Berührungsängsten leisten. Deswegen habe ich mir diese Woche auch mal die Frage gestellt – warum eigentlich diese Liste? Warum das Graben in der Vergangenheit? Die Antwort ist wahrscheinlich die: Ich glaube nicht, dass wir wären, wo wir jetzt sind, hätte es nicht die Menschen gegeben, die in dieser Reihe vorgekommen sind. Menschen die das Thema immer wieder in den Vordergrund gestellt haben und nicht zuletzt die Menschen, denen Campillo hier ein filmisches Denkmal gesetzt hat. Sie haben für diesen Fortschritt gekämpft und unheimliche Courage bewiesen. So begründete auch Pedro Almodóvar die Verleihung des großen Preis der Jury in Cannes. Während der Pressekonferenz der Jury-Begründung erklärte er mit brüchiger Stimme: »It’s a story that took place not too many years ago. Whether you were part of the LGBT community or not: It was an injustice. Campillo tells the story of real heroes, that have saved many people’s lives«¹.

»120 Battements Par Minutes« ist im deutschsprachigen Raum unter dem Titel »120 BPM« auf DVD erschienen und definitiv empfehlenswert, um den politischen Kampf von AIDS-Aktivist*innen kennenzulernen. Es ist ein fabelhafter und sehr berührender Film mit einem großartigen Soundtrack, der einen feinen Remix von Smalltown Boy bereithält.

Vielen Dank fürs Lesen meiner Liste an fünf Filmen, die sich mit HIV und AIDS auseinandersetzen. Die bisherigen Beiträge umfassten der erste Spielfilm über HIV/AIDS: »Buddies«, anschließend schrieb ich über »Longtime Companion«, über »Boys on the Side« und gestern über die österreichische Doku »Vom Leben Lieben Sterben«.

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