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Vergeben & Vergessen

Die Beziehung von Nils und mir hatte definitiv mehr Turbulenzen, als es die meisten vergleichbar jungen Beziehungen in gleicher Zeit durchlaufen. Obwohl ich mich mit ihm wirklich wohl gefühlt habe, stellte sich für mich mehr als einmal die Frage: Wo ziehe ich für mich Grenzen, was die Toleranz für Fehltritte betrifft. Kann ich ihm vergangene Fehler vergeben? Glaube ich, dass Vergleichbares nie wieder vorkommen wird? Schaffe ich es, ihm vergangene Verfehlungen weder unterbewusst, noch im Streit, immer wieder vorzuwerfen?

Kann ich vergeben und vergessen?

Wie ich bereits in meinem vorletzten Blogposting erwähnt habe, habe ich mich von meinem ehemaligen Partner getrennt. Die Geschichte vom Ende meiner Beziehung beginnt damit, dass ein Bekannter aus der Uni mich auf ein Foto anspricht, dass er von Nils und mir auf Facebook gesehen hat. Er möchte wissen, wann wir einander kennengelernt haben und scheint über den von mir genannten Zeitraum erstaunt. Als er doppelt nachfragt, ob ich mir ganz sicher sei, werde ich unruhig. Natürlich bin ich mir ganz sicher, ich rede immerhin davon, wie mein fester Partner und ich uns kennengelernt haben – eine Geschichte, die nicht Ewigkeiten, sondern lediglich ein knappes Jahr zurückliegt und die mir auch so wichtig ist, dass ich die Details nicht einfach vergesse oder durcheinander werfe.

Es stellt sich heraus, dass Nils in den ersten Wochen, die wir bereits „irgendwie schon was Festes“ nannten, sich noch mit jenem Studienkollegen „getroffen“ (im Sinne von „mehr oder weniger gedatet“) hat. Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass der Moment, in dem mir das erzählt wird, „eine Welt für mich zusammenbricht“, oder es ist, als „reiße man mir den Boden unter den Füßen weg“, aber in Wahrheit ist es nicht einmal wie ein Schlag in die Magengegend, sondern als fügte man einem verwundeten Herzen einen neuen Stich hinzu. Ich danke dem Kommilitonen für seine Offenheit und mache mich, ein wenig gelähmt, auf den Weg in meine Wohnung.

Zuhause im Bett liegend überlege ich mir, wie ich weiter vorgehen soll. Es wird kein Weg daran vorbei führen Nils mit dem zu konfrontieren, was sich mir nun offenbart hat. Ich möchte aber auch nicht voreilig verurteilende Nachrichten in seine Richtung schicken. Es stellt sich aber auch die Frage, ob – egal welche Erklärung er findet, welche entschuldigenden Worte er an mich richtet – ich mich dem Gefühl der Unsicherheit weiter aussetzen will. Denn erneut ist mir klargeworden, dass aufgrund der Vielzahl an Problemen die wir in unserer Beziehung hatten, unsere Vertrauensbasis, wie sie in einer Partnerschaft bestehen sollte, schwer zerrüttet ist und sich in mir schon länger ein Gefühl der Unsicherheit breit gemacht hat. Schließlich war ich zwar erschrocken, aber nicht unbedingt überrascht über das, was mir der Kommilitone erzählte.

Die Frage nach „Vergeben und vergessen“ schießt mir in den Kopf und damit verknüpft die Überlegung, ob ich dafür nicht Teile der Vergangenheit bewusst verdrängen müsste, um wieder neues Vertrauen in unsere Beziehung investieren zu können. Noch während ich mir diese Frage stelle, weiß ich unweigerlich, dass sich auch Carrie Bradshaw in Sex and the City mit diesem Thema beschäftigt hatte – jedoch in umgekehrter Position. Nachdem Aidan von ihrer Affäre mit Big erfahren hat, braucht er erstmal Zeit für sich, doch auch nachdem er scheinbar zu Carrie „zurückgekehrt“ ist, ist sich Carrie unsicher, ob er ihr wirklich verziehen hat, oder er nicht im Geheimen doch daran glaubt, dass der Seitensprung wieder passieren könnte.

Es nützt nichts. Nils und mir würde ein Gespräch bevorstehen. Bestenfalls natürlich von Angesicht zu Angesicht. Nachdem ich es doch nicht ausgehalten habe mich zurückzuhalten, sondern tatsächlich Textnachrichten an Nils geschickt habe, die meine mäßige Laune erklärten, willige ich ein ihn am Wochenende in seiner Wohnung zu treffen um das Thema zu bereden. Als er mich bei der Bahnhaltestelle abholt, merke ich, dass ich Tränen zurückhalten muss. Manchmal fühle ich mich zu fragil für diese Welt.

Dass er mich in den Arm nimmt tröstet mich. Dass er mir erklärt, es sei ein Riesenfehler gewesen; die Treffen seien nur platonisch gewesen und es habe kein Betrügen im körperlichen Sinne gegeben, hilft etwas gegen die Bilder, die mir seit dem Gespräch mit dem Kommilitonen im Kopf herumspuken. Dass ich ihn noch immer liebe hilft vor allem ihm, mich zu überreden, bei ihm über Nacht zu bleiben.

Für mehrere Stunden fühlt sich alles an wie immer. Nils ist sehr demütig, sehr liebevoll und sehr gut daran Normalität herzustellen. Er kocht mir etwas am Abend und nach gutem Sex, bei dem sich alles schön anfühlt, weil wir beide wissen wo wir uns anzufassen, zu liebkosen haben, schlafen wir uns umarmend ein. Wenn nur jeder Abend so sein könnte, wie dieser…

Der nächste Tag beginnt mit einem Morgenkuss und Kaffee im Bett. Aber irgendwas ist anders. Das wird mir erstmals bewusst, als ich mich dabei ertappe, wie ich ihn misstrauisch beäuge, während er sein Handy nach Nachrichten checkt. Den ganzen Vormittag bin ich verstimmt. Ich spüre: Unsere Versöhnung ging mir zu schnell. Außerdem – was hat sich denn groß verändert? Nur weil er mir seine Fehler erläutert, nachdem ich bereits dahintergekommen bin, gelangen wir doch nicht plötzlich zu neuer Stärke?!

Als wir zum Mittag gemeinsam kochen, breche ich einen Streit vom Zaun. Ich habe ihm fünf Minuten dabei zugeschaut, wie er begeistert lachend ein Video im Internet anschaut, dann macht mich seine gute Laune wütend. „Ich weiß nicht ob ich das kann.“ Entgeistert schaut Nils mich an. „Ob du was kannst?“ „Das hier. Uns. Ich glaube ich brauche etwas Zeit für mich“. Nun ist er es, der aussieht, als gehörte er in den Arm genommen, aber ich kann mich nicht überwinden diesem Wunsch, den ich seinem verletzten Blick entnehme, nachzukommen.

In Sex and the City straft Aidan Carrie damit ziemlich passiv-aggressiv mit ihr umzugehen und sie dazu zu bringen sich zusätzlich Sorgen machen zu müssen, ob nun er eine Affäre mit einer Barfrau anfangen könnte. Diesen Umgang nicht mehr aushaltend eskaliert die Situation und Carrie brüllt ihren Partner an: „Why don’t you just fuck then we can both be bad.“ Und auch auf Dauer geht es sich für Carrie und Aiden nicht aus: Er macht ihr einen Heiratsantrag, allerdings nur, um sie an sich zu binden, ihr noch immer nicht vertrauend.

Alleine auf dem Heimweg in meine Wiener Wohnung, meine Situation durchdenkend und meine Gefühle und Gedanken durchgehend, stelle ich, ehrlich zu mir selbst seiend, fest: Ich kann ihm vielleicht vergeben – irgendwann, aber ich kann seine Vertrauensbrüche wahrscheinlich nicht vergessen. Und weder möchte ich ihn passiv-aggressiv angiften, wenn er glücklich aussieht, nicht jedes Mal innerlich in einen Panikmodus verfallen, wenn er über eine Textnachricht lächelt, noch möchte ich ebenfalls „Scheiße-abziehen“, damit wir beide irgendeine Art von „Schuld“ tragen. Also möchte ich ihm zwar vergeben, aber ihn am liebsten gleich dazu vergessen.

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