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Gaydentity

Vor ein paar Tagen habe ich eine Kommilitonin zufällig in der Stadt getroffen. Da wir uns länger nicht gesehen hatten, war ich wirklich erfreut und fragte, ob wir noch einen Kaffee trinken gehen sollten. Sie verneinte, da sie gerade mit ihrem Freund unterwegs sei, der gerade im Einkaufszentrum, in dem wir uns befanden, im Stockwerk höher etwas einkaufe und gleich wiederkomme. Danach hätten sie noch irgendeine Verabredung. Ich unterhielt mich also ein bisschen mit ihr, bis ihr Freund kam und sie mich kurz vorstellte: „Das ist Gerry“ (natürlich verwendete sie den Namen, den mir meine Eltern gegeben haben, nicht mein Internetpseudonym) – es folgte eine kurze, unangenehme Stille – „Ach so. Der Gerry?“. Ich war wahrscheinlich merklich verwirrt und versuchte mein Unbehagen sofort mit einem Lachen und den Worten: „Ja, der Gerry, der sich mit deiner Freundin im Medientheoriekurs langweilt.“, zu überspielen. Sie lachte, er grinste verlegen und ich verabschiedete mich.

Auf dem Nachhauseweg kam ich nicht umhin, mir die Frage zu stellen, was wohl mit der Betonung auf „der“ genau gemeint gewesen war. Was hatte sie ihm wohl über mich erzählt, dass er so eindringlich nachhakte? Auch wenn ich damit total falsch liegen könnte, kam mir irgendwann der Gedanke, dass sie mich womöglich als ihren „schwulen Freund Gerry“ vorgestellt hatte? Wenn dem wirklich so wäre, wüsste ich überhaupt nicht, ob ich das gut oder schlecht, völlig in Ordnung oder irgendwie unbehaglich finden sollte. Ich fing an nachzudenken: Was macht mich denn wirklich aus? Welche Aspekte würde ich denn aufzählen, wenn ich mich beschreiben müsste?

Wie sehr prägt mein „Schwulsein“ meine Identität?

Im Verlauf meines Studiums habe ich viel über Identität gelernt: Darüber, wie es etwas ist, von dem wir alle ausgehen, es zu haben, ohne immer genau präzisieren zu können, was es ist. Über Zwänge sich definieren zu müssen. Darüber, wie es in bestimmten Theorien gar keine einheitliche Identität gibt, da eine solche Bezeichnung der Vielseitigkeit des Menschen gar nicht gerecht wird.

In einem Seminar mit solchem Thema wurde einmal die hypothetische Frage gestellt: Welche drei Worte beschreiben mich? Und ich kam selber ins Überlegen. Wenn ich mich festlegen müsste, nach welchen Kriterien würde ich jene Worte auswählen? Nach Interessen und Hobbies? Nach Lebensumständen? Nach Zukunftsentwürfen und Träumen?

Wenn man mir in meiner Jugend, nach meiner Bewusstwerdung, dass ich mich sexuell zu Männern hingezogen fühlte, gesagt hätte, dass ich Anfang/Mitte Zwanzig in Erwägung gezogen hätte, „schwul“ als mich charakterisierende Beschreibung zu verwenden – ich hätte es nicht geglaubt. Ungeoutet war schließlich genau das meine größte Angst: Von nun an bin ich nichts als „der Schwule“. Ich glaube, dass das etwas ist, dasviele Heranwachsende beschäftigt. Genährt wahrscheinlich auch damit, dass man sowas kennt; Fälle wo genau dies passiert. In meinem schulischen Umfeld zum Beispiel: Es gab diesen einen Jungen, zwei Jahrgänge unter mir, der sich als schwul geoutet hatte. Mehr wusste ich nicht über ihn. Das hat mich immer sehr geärgert. Aus seiner Perspektive – wieso wissen irgendwelche ihm fremden Mitschüler*innen, die zwei Jahre älter sind, von seiner sexuellen Präferenz? So wollte ich nicht enden, schulbekannt und darauf reduziert, nicht einem heteronormativen Entwurf zu entsprechen.

Mit dem Ende der Schulzeit und einem schrittweisen Outing hat sich in meinem Leben vieles verändert. Der Umzug aus einer kleineren Provinz nach Wien bedeutete für mich ein Vorhaben, das ich ohne Kompromisse durchgesetzt habe: Nie wieder lügen, was die eigene Sexualität betraf. Alle neuen Bekanntschaften sollten die Wahrheit wissen, sobald das Thema sich ergab. Und dann passierte etwas Komisches – ich entwickelte so was wie Stolz. Ich hatte das Gefühl, für ein Outing eine bestimmte Art von Reifeprozess durchlaufen zu haben, der mich von heterosexuellen Mitmenschen unterschied.

Es gibt eine Szene aus der Sitcom Modern Family, die mir vor Augen geführt hat, was ein Faktor gewesen sein könnte, der zu diesem Gefühlswandel führte. In einer Folge der ersten Staffel lässt Jay seinen Sohn Mitchell wissen, dass dessen Teenager-Halbbruder Manny gerade eine schwere Zeit durchmacht, weil er in seiner Klasse von anderen Mitschülern, mit der Begründung er sei „anders“, aufgezogen wird. Der bereits erwachsene und in einer Beziehung mit einem Mann lebende Mitchell richtet daraufhin tröstende Worte an Manny. Er erklärt ihm, dass es zu Schulzeiten immer darum gehe, dazugehören zu müssen. Aber später gehe es plötzlich genau darum, „anders“ zu sein. Das sei der Moment, in dem Manny und er dann den anderen etwas voraushabe.

Mit dem Outing und dem Konsum erster Filme und Serien mit queeren Themen erfolgte zeitweise auch ein bisschen eine Idealisierung der „Szene“. Den ersten anderen schwulen Männern, denen ich zu dieser Zeit begegnete, fühlte ich mich tatsächlich insofern ein wenig verbunden, da ich glaubte, Menschen zu treffen, die einen teils ähnlichen Weg hatten gehen müssen. Erst mit der Zeit – in größeren Gruppen von schwulen Männern zum Beispiel – fiel mir auf, dass ich da doch recht blauäugig gewesen bin. Dass jene, die sich als nicht-heterosexuell definieren, keine homogene Gruppe sind, musste mir noch aufgehen. Damit ging einher, dass ich mich von dem ersehnten Gemeinschaftsgefühl vorerst zu verabschieden hatte und zunehmend auch auf sozialpolitische Probleme, die wir gesamtgesellschaftlich haben, auch innerhalb der „Community“ aufmerksam wurde.

Doch auch wenn Probleme definitiv angesprochen und nicht totgeschwiegen gehören, schlummert in mir ein diffuses Gefühl der Zugehörigkeit. Nein, „die Szene“ ist nicht meine zweite Familie geworden, sie hat mich nicht mit offenen Armen empfangen und der Begriff „Szene“ erscheint mir sowieso so unscharf, dass ich auch nicht glaube, dass es diese in der Form gibt, wie ich sie mir mal ersehnte. Und doch treffe ich mich gerne im Café Savoy, interessiere ich mich für das Mariahilfer Straßenfest und könnte ich über Stunden in der Buchhandlung Löwenherz nach neuer Literatur schmökern. Nicht zuletzt führe ich einen Blog über schwules Dating in Wien – einen so wichtigen Platz nimmt das „Schwulsein“ also doch in meinem Leben ein.

Ich weiß noch immer nicht, was mit „der Gerry“ gemeint gewesen sein kann und es ist mir auch nicht wichtig genug, um nachzufragen. Denn es wäre auch nicht weiter schlimm, wenn damit meine Homosexualität gemeint gewesen wäre.

Man muss mir da nicht zustimmen und ich weiß auch, dass viele nur sehr ungern so definiert werden würden, zum Beispiel auch deshalb, weil heterosexuelle Mitmenschen sich wohl ebenfalls in den allerseltensten Fällen durch ihre Sexualität charakterisieren lassen. Ich für mich habe jedoch festgestellt: Wenn ich drei Worte finden müsste, die mich beschreiben, wäre „schwul“ womöglich dabei – und das finde ich mittlerweile mehr als in Ordnung.

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