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Coming Out

Heute ist der National Coming Out Day, ein Tag an dem es um Sichtbarkeit queerer Menschen geht. Das Coming Out ist im Leben vieler ein großer Schritt. Für jene, die diesen Schritt noch nicht gegangen sind, können Erzählung anderer darüber, wie sie vorgegangen sind, interessant und ermutigend sein. Ich weiß, dass mich früher das Coming Out anderer interessiert, weswegen ich nun auch meine eigene Geschichte teilen mag.

Wie war eigentlich mein eigenes Coming Out?

Ein Coming Out findet, so heißt es, in zwei Phasen statt. Noch bevor man sich dem eigenen Umfeld offenbart ist der erste Schritt seine eigene Sexualität zu erkennen, anzuerkennen und sich möglichst damit anzufreunden. Wie die Bezeichnung „Phase“ bereits impliziert kann sich dieser Prozess des inneren Coming Outs etwas länger hinziehen. Viele queere Menschen sind dementsprechend mit der Frage wann sie bemerkt haben soundso zu sein etwas überfordert. Ich persönlich habe zwar schon in meiner sehr frühen Jugend bemerkt, dass mein Verhältnis zu Männern bzw. mein Verhältnis zu Frauen ein anderes war, als das anderer „Geschlechtsgenossen“, als ich mir jedoch erstmals ein sexuelles Interesse an Männern eingestand, hielt ich mich für bisexuell. Ja, ich kann mir Sex mit Männern vorstellen, aber eine wirkliche Beziehung wünsche ich mir nur mit Frauen. Es verging also noch längere Zeit bis ich mich selber als homosexuell definierte und mir auch sehr wohl eine Beziehung mit einem anderen Mann nicht nur vorstellen konnte, sondern auch herbeisehnte.

Die zweite Phase ist dann ein Coming Out, dass an andere Menschen gerichtet ist – also jenes „Geständnis“, was man zumeist meint, wenn man sagt jemand habe sein/ihr/* Coming Out gehabt. Bereits die Vorbereitung darauf kann sehr stressig sein. Sobald man das innere Coming Out geschafft hat, kann man dazu neigen sein Umfeld permanent in dem Sinne zu kontrollieren, dauerhaft zu prüfen, wie Freunde und Familie auf queere Themen reagieren. Was sagt der beste Freund, wenn zwei Frauen oder zwei Männer auf der Straße Händchen halten? Was sagt Papa, wenn queere Personen im Fernsehen erwähnt werden oder in Filmen und Serien auftauchen? Jede Reaktion wird auf eine Waagschale gelegt. Jede beifällige Bemerkung und jeder Blick wird interpretiert und im Gedächtnis abgespeichert. Bevor man also den Schritt geht stückchenweise mit der eigenen Sexualität an die Öffentlichkeit zu gehen, glaubt man eine Idee davon bekommen zu haben, wer gar kein Problem mit der Enthüllung haben wird und welche zwischenmenschliche Beziehung man nach einem Coming Out im schlimmsten Fall gar opfern muss, weil die Abweichung von Heterosexualität für jene Person(en) ein No-Go zu sein scheint.

Beim Outing vor immer mehr Menschen können sich diese Einschätzungen als Trugschluss offenbaren. Während manche Personen bei denen man sich keine Sorgen gemacht hatte vielleicht doch etwas verhaltener reagieren und womöglich mehr Probleme haben als eigentlich gedacht, war es bei mir vor allem so, dass es Freund*innen und Familienmitglieder gegeben hat, bei denen ich mir im Vorhinein endlos unbegründete Sorgen gemacht hatte, während das eigentliche Coming Out dann doch viel problemloser ablief als gedacht.

Aus eigener Erfahrung kann ich empfehlen sich vor einer selbst queeren Person zu outen. Die Idee dahinter: Positive Reaktionen beim ersten Outing machen Mut sich auch anderen Menschen anzuvertrauen. Dafür braucht es Freund*innen bei denen man sichergehen kann, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit positiv reagieren werden. In meinem Fall war das meine beste Freundin Jana. Sie hatte mir zu diesem Zeitpunkt bereits anvertraut, dass sie auch Frauen sexuell anziehend findet. Allgemein war sie schon viel weiter, was die innere Akzeptanz ihrer Sexualität betraf. Ich hingegen war damals ein Häufchen Elend. Es fühlte sich wie ein kleiner Tiefpunkt in meinem Leben an, an dem ich zwar wusste, dass ich nicht so weiterleben wollte wie bisher, aber an dem ich auch mit einem möglichen öffentlichen Coming Out unzufrieden schien. Mein größte Angst bestand darin fortan über meine Sexualität definiert zu werden. Es war Janas Verdienst, dass ich diese Angst Überwand. Sie nahm meine Ängste ernst und schaffte es gleichermaßen mir Mut zu machen. Es fühlte sich ein bisschen an, als seien wir beide Verbündete: Wir gegen den Rest der Welt.

Mit dem Schulabschluss und dem Umzug nach Wien fand definitiv ein Einschnitt in meinem Leben statt. Scheinbar musste ich erste einige Kilometer zwischen mich und meinen Heimatort bringen, um endlich zu beginnen vollkommen ehrlich mit mir und meiner Umgebung zu sein. Von nun an sollte ich niemanden mehr treffen, den ich anlügen müsste. Sofern es sich irgendwie ergab, würde ich meine Sexualität jederzeit selbstverständlich preisgeben. Das ist natürlich in einer neuen Stadt mit neuen Leuten viel einfacher, als im Heimatdorf, wo einen jede Person noch aus Kindertagen kennt. In Wien stellte ich erstmals fest, dass es mir persönlich als geoutete Person um ein Vielfaches besser ging. Das ständige Lügen und Schauspielern in der Schulzeit, es war einfach zu anstrengend gewesen. Ein Problem war da aber noch: Meine Familie hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Ahnung.

Mein letzter Besuch zuhause lag damals bereits etwas länger zurück. Für meine Heimfahrt an Weihnachten sollte endlich die Zeit gekommen sein mich zu outen. Nur der genaue Zeitpunkt war irgendwie etwas unklar. Vor Weihnachten sollte es nicht passieren („Es soll doch niemandem das Fest kaputt gemacht werden?!“), an Weihnachten selbst natürlich auch nicht („Eh klar!“) und wenn wir noch vor dem neuen Jahr zu Oma fahren um ihren Geburtstag zu feiern, dann wäre das auch eher ungünstig. Ich verschob und verschob. Dann kam jedoch der Tag, an dem ich erfuhr, dass nun das letzte Mittagessen stattfinden würde, bei dem die ganze Familie beisammen wäre. Mir war klar, dass nun der Moment gekommen war und ich rührte ziemlich apathisch in meinem Essen herum. Es galt: Jetzt oder nie, und trotzdem verschob ich weiter, zu nervös um es endlich hinter mich zu bringen. Als wir beim Nachtisch angelangt waren, erhob ich dann doch noch die Stimme und sprach aus, was ich mir seit Monaten zurecht gelegt hatte: „Ihr habt mich manchmal gefragt ob ich in Wien eine Freundin hätte. Wahrheitsgemäß habe ich immer verneint. Aber ich finde ihr solltet wissen, dass es, sollte es dazu kommen, ich keine feste Freundin hätte, sondern einen festen Freund.“

Mein Papa riss seine Augen ziemlich weit auf und brachte ein erstaunt klingendes „Ok“ heraus. Meine Mama schaute zu mir herüber und fing an einige Fragen zu stellen: Seit wann ich davon wisse und ob ich mir da auch wirklich sicher sei (eine Frage, die ihr heute unendlich peinlich ist). Mein Bruder saß ziemlich versteinert neben mir und schien völlig in Gedanken verloren. Meine Familie war im ersten Moment einfach ziemlich überrumpelt. Ich gab ihnen auch keine Schuld. Es war für mich nicht schlimm, dass sie nicht gleich in Jubel ausbrachen. Ich hatte meine Zeit gebraucht mich daran zu gewöhnen, also würde ich auch ihnen diese Zeit geben. Zum Abschluss des Gesprächs brachte mich meine Mama dann doch noch kurz zum Weinen, als sie sagte, dass mein Outing nichts für sie ändere; dass sie und Papa mich genau so liebten, wie davor auch und dass für sie der einzige Grund, warum es als Elternteil nicht ganz einfach ist das zu hören der ist, dass man Angst hat das eigene Kind könne es schwerer im Leben haben.

Vom Tag des Coming Out selber hat es noch einige Zeit gedauert, bis ich endlich das Gefühl hatte, dass es mir wirklich besser ging. Auf der einen Seite war da natürlich sofort die Erleichterung es hinter mich gebracht zu haben. Dann ist es aber auch nicht so, dass einem eine „Party“ geschmissen wird, nur weil man sich geoutet hat und bis ich offen mit meiner Familie über alle Themen die mich bewegten sprechen konnte, verging noch etwas Zeit. Ich habe aber natürlich auch einige Freunde bei denen das Coming Out nicht ansatzweise so gut verlaufen ist wie bei mir. Es gibt homophobere Schulfreunde als meine, religiösere Eltern und konservativere Umgebungen als ich sie gewohnt bin. Als ich von einem Freund gehört habe, dass seine Familie Teil einer rückwärtsgewandten Freikirche ist, oder von einem anderen, dass sein Vater ein schwulenhassender Lokalpolitiker in einer rechtspopulistischen Partei, da habe ich verstanden, dass ein Coming Out nicht für jeden Menschen das gleiche „befreiende Erlebnis“ darstellt.

Wir haben als Gesellschaft noch einiges zu tun, um ein Klima zu schaffen, in dem sich Heranwachsende so sicher fühlen, dass sie sich mit Problemen anvertrauen und sie nicht das Gefühl haben sich verstellen zu müssen. Wenn meine Mama die Angst äußert, dass sie sich lediglich Sorgen macht, ob ich es durch mein Outing schwerer haben könnte in meinem Leben – einfach weil die Welt ist, wie sie ist – dann ist das sehr süß von ihr, aber als Aussage natürlich auch sehr bedenklich. Niemandem sollte es schwerer gemacht werden, nur weil er*sie sich in Menschen gleichen Geschlechts verliebt. Versuchen wir daran etwas zu ändern.

Happy #ComingOutDay. Zur Feier des Tages schaue ich heute die „Coming Out“-Folge von Ellen DeGeneres‘ damaliger Sitcom „Ellen“. Und ihr so? Vielen Dank – wie immer – fürs Lesen und einen schönen Tag euch!

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